18. 10. 2024

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40 Jahre Ausländerstimmrecht

Heute, im Jahr in dem das Frauenstimmrecht ihren 40sten Geburtstag in der Schweiz feiert, stelle ich mir den Tag vor, folgende Schlagzeile in der Zeitung (natürlich online) lesend: „40 Jahre Ausländerstimmrecht“ Mit dem Kommentar nebenbei: „Stelle Sie sich das mal vor, es gab Zeiten in der Schweiz wo nicht alle gleiche Rechte hatten. Menschen haben in den Räumen der ehemaligen Schweiz; gelebt, sind zur Schule gegangen, haben Steuern bezahlt, sie waren jedoch von der politischen Partizipation ausgeschlossen.“


Bevor dies jedoch Realität wird, schreibe ich aber noch etwas zum heutigen Versuch der Regierung das Kantons- und Gemeindebürgerrecht zu revidieren. Die Anhörungsvorlage zum total revidierten Kantons- und Gemeindebürgerrecht enthält Vorschläge für einheitliche und korrekte Verfahren.

Das Fundament für diesen Schritt bieten die Bundesgerichtspraxis und das Bundesrecht die geändert haben. Heute bestehe sogar ein dringender Wunsch von den Gemeinden, Einbürgerungsverfahren nach klaren Vorgaben zu regeln. Wie kann es überhaupt sein, dass solche Verfahren bisher nicht vereinheitlich wurden? Die Schweiz ist das einzige Land in dem man sich drei mal einbürgern lässt. Die Entscheide auf Gemeinde und Kantonsebene werden als politische Akte durchgeführt. Für den Bund ist die Einbürgerung ein Verwaltungsakt. Die Frage ist, ob sich dies künftig ändern wird, bzw. warum nicht.

Es gibt mittlerweile viele standardisierte Umfragen, die regelmässig in mehreren europäischen Ländern durchgeführt werden. In diesen Umfragen wird zum Beispiel analysiert, wie der Einfluss von ImmigrantInnen auf die öffentliche Sicherheit, Arbeitslosigkeit oder die wohlfahrtstaatlichen Einrichtungen eingeschätzt wird, oder wie die Länder der Zuwanderung im Allgemeinen begegnen. Die Resultate zeigen, dass die Schweiz der Zuwanderung zwar weitaus positiver als die allermeisten Europäischen Länder gegenübersteht (Semyonov 2006), diese Offenheit hat jedoch den Preis einer hohen Ausgrenzungsbereitschaft was die Bürgerrechte anbelangt. Wenn man nämlich fragt, ob ImmigrantInnen gleiche Rechte haben sollten wie Einheimische, erweist sich die Schweiz mit grossem Abstand als der kleinherzigste aller 21 europäischen Staaten. Mehr als doppelt so viele als im Durchschnitt der Europäer finden, dass Zuwanderer nicht gleiche Rechte haben sollten.

Die Problematisierung von Ausländern kann als Ausdruck eines Kampfes um soziales Prestige und Macht interpretiert werden (vgl. Wimmer 2002). Er wird v.a. von Menschen geführt, die um ihren Status in der Gesellschaft fürchten und für welche die Mitgliedschaft in der nationalen Kerngruppe von besonders grosser Bedeutung ist. Die Ausländerfeindlichkeit stellt ein Angriff auf das Privileg nationaler Mitgliedschaft von seiten jener Gruppen von Einheimischen dar, die sich vom sozialen Statusverlust bedroht fühlen. Gemeindeautonomie und Lokal- bzw. Direktdemokratie in der Schweiz sind stark verwurzelte Werte, gerade in den Bevölkerungsschichten, die Fremde v.a. als Problem wahrnehmen. Die direkte Demokratie ermöglicht es erst, diese Stimmungslagen geradewegs in die politischen Debatten einzubringen und dort auszuhandeln, was in anderen Ländern nur über das Parteiensystem möglich ist. Der Kampf um die Einbürgerungsregeln trägt ähnliche Züge, geht es doch in den Augen vieler dort um das Recht von lokalen Gemeinden, zu bestimmen wer dazugehören darf und wer nicht.

Theodor Pistek, Family Portrait 1976, Czech Republik

Theodor Pistek, Family Portrait 1976, Czech Republik

Mein Wunsch im Rahmen der Anhörung; dass für Kinder und Jugendliche die in der Schweiz geboren sind, erleichterter oder automatisch eingebürgert werden, wird nicht einmal als Option innerhalb der Vorlage erwähnt. Wir werden auch nach der Revision des Gesetzes Ausländer made in Switzerland produzieren. Wir werden ihnen weiterhin das Gefühl geben hier nicht zu Hause zu sein, hier nicht dazuzugehören.

Man muss sich aber auch mit wenig zufrieden geben. Und wenig ist das was möglich sein wird. Aus der Sicht der Einbürgerungswilligen ist zumindest der Versuch einer Vereinheitlichung sehr zu begrüssen: Die Anforderungen an Kenntnisse der deutschen Sprache, Wissen in Sozialpolitischen Belangen und Integration sollen klarer werden um so zumindest die Willkür in Grenzen zu halten. Die Einbürgerungen sollen als Verwaltungsakt mit Anfechtungsmöglichkeit in den Gemeinden behandelt werden. Eine Einbürgerung darf von einem Baugesuch nicht unterscheiden werden.


(veröffentlicht in der Aargauischen 1. Mai Zeitung 2011)